Cardiolotsen: „Man hat da jemanden, der weiterhelfen kann“
Passend zu den derzeitigen Herzwochen 2021 haben wir über Erfahrungen im Projekt Cardiolotse mit einem Patienten, einer Cardiolotsin und einer teilnehmenden Ärztin gesprochen:
Werner Kosney hatte seinen ersten Herzinfarkt mit 43 Jahren. „Obwohl die Ärzte heute sagen, dass das gar keiner war“, betont der 79-jährige mit seiner kräftigen Stimme und Berliner Dialekt. „Ich habe schon zu DDR-Zeiten an Herzrhythmusstörungen gelitten“, erinnert sich der Rentner. „Aber organisch konnte nie etwas festgestellt werden.“ Im Januar 2017 wurden die Herzschmerzen so schlimm, dass er den Rettungswagen gerufen hat. Er wurde operiert und dann war eine Zeitlang erst einmal alles gut. Im November 2019 kam er dann mit einer Angina pectoris und viel zu hohem Blutdruck wieder ins Krankenhaus.
Es war zu diesem Zeitpunkt, als Werner Kosney zum ersten Mal seine Cardiolotsin kennenlernte. „Da kam eine junge Frau auf mich zu. Sie hat sich vorgestellt und mir erklärt, worum es bei dem Programm ‚Cardiolotse‘ geht und ob ich nicht Interesse hätte, daran teilzunehmen“, erinnert er sich. „Und ich habe gesagt: ‚Ja, warum eigentlich nicht?‘ Und seitdem läuft die Sache. Ich werde regelmäßig angerufen, Frau Kittendorf erkundigt sich nach meinem Befinden und fragt, ob ich Probleme oder Sorgen habe und ob sie mir helfen kann.“
„Das ist schon eine feine Sache“
Werner Kosney wurde 1942 in Berlin Prenzlauer Berg geboren und ist dort auch aufgewachsen. Er hat viel erlebt – die letzten Jahre des dritten Reiches, die Entstehung der DDR, ihren Untergang und nun auch noch eine weltweite Pandemie. Von Beruf Gastronom hat er in Ostberliner Hotels und in der MITROPA gearbeitet, aber auch das Catering in Botschaften und bei Empfängen übernommen. Werner Kosney hat sich nie unterkriegen lassen. Auch nicht von seinen ständigen Herzproblemen, mit denen er fast die Hälfte seines Lebens gekämpft hat.
Mit der Betreuung durch seine Cardiolotsin ist er sehr zufrieden. „Das ist schon eine feine Sache“, sagt er. „Man hat da jemanden und weiß, die kann ich anrufen, wenn irgendwas ist und die kann mir auch weiterhelfen.“ Zum Beispiel, als seine alte Hautärztin aufgehört hat und er unbedingt eine neue brauchte, weil bei ihm Verdacht auf Hautkrebs bestand. „Da wurde mir direkt ein Termin in dem MVZ am Klinikum vermittelt. Und dort bin ich bis heute geblieben.“ Und auch wenn das nicht unbedingt mit seiner Herzerkrankung zu tun hat – der Stress, den die Suche nach einem neuen Hautarzt bedeutet hätte, wäre auch nicht gut für sein Herz gewesen.
„Die Patienten sind sonst ein bisschen schwierig“
Das war aber auch so ziemlich das einzige Mal, bei dem Werner Kosney wirklich um Hilfe gebeten hat. „Er ist ein sehr pragmatischer Mensch“, sagt seine Cardiolotsin Jessica Kittendorf. „Er hat ja schon viel durchgemacht und lässt bestimmte Dinge nicht schleifen, weil er weiß, dass sie wichtig sind.“ Dinge, wie zum Beispiel notwendige Folgeuntersuchungen. Oder einen Termin beim Hämatologen, weil bei ihm im Rahmen einer Kur auch Blutarmut festgestellt wurde. „Da habe ich noch ganz andere Patienten, die deutlich mehr Unterstützung wünschen“, schiebt Jessica Kittendorf schmunzelnd hinterher.
Dass Werner Kosney eher die Ausnahme ist, bestätigt auch Dr. Jasmin Montaceri-Franke, Hausärztin in Spandau. „Die Patienten, die ich in dem Programm eingeschlossen habe, sind sonst in der Regel ein bisschen schwierig dazu zu bewegen, Medikamente zu nehmen oder zum Arzt zu gehen“, sagt die Hausärztin. Oft handele es sich dabei um ältere Menschen, die noch andere Erkrankungen haben. „Die schieben die Beschwerden dann häufig auf das Alter oder auf die anderen Erkrankungen, weil sie vielleicht Angst haben und nicht zum Arzt gehen wollen“, so die Hausärztin. Genau für diese Patientinnen und Patienten sei das Cardiolotse-Programm sehr hilfreich. „Es unterstützt sie dabei, die Therapie einzuhalten. Der Cardiolotse kann sich viel Zeit nehmen für jeden einzelnen Patienten und helfen, Ängste und Hemmschwellen abzubauen.“
Sehen Sie hier das ganze Interview mit Frau Dr. Montaceri-Franke
„Das muss zwischenmenschlich wirklich passen“
Die Betreuung durch die Cardiolotsen läuft nach dem Erstkontakt, der wenn möglich direkt am Krankenhausbett stattfindet, vor allem telefonisch ab. „Aber nicht immer stimmt die Chemie“, gibt Jessica Kittendorf zu. „Die meisten Patienten fühlen sich bei mir gut aufgehoben. Aber das muss zwischenmenschlich wirklich passen, sonst funktioniert das nicht. Man muss dann auch mal ein Verhältnis beenden, damit nicht auf beiden Seiten Frust entsteht.“ Denn das Verhältnis basiere auf großer Vertrauensbasis. „Da entsteht ein persönliches Verhältnis. Man erfährt auch viel Privates“, so Jessica Kittendorf. Deswegen dokumentiert sie auch jedes Telefonat genau. „Meine Patienten wollen sehen, dass ich wirklich Bescheid weiß. Dass ich sie persönlich im Blick habe. Wenn zum Beispiel der Hund des Patienten krank war oder Ähnliches, dann frage ich beim nächsten Telefonat nach, wie es ihm geht.“
„Diese Unabhängigkeit besteht in der Arztpraxis nicht“
Deswegen wird schon in der Weiterbildung ein besonderer Wert auf die Patientenkommunikation gelegt. „Im Krankenhaus sind die Patienten emotional sehr instabil, haben große Ängste und Unsicherheiten“, erklärt die Cardiolotsin. „In der Ausbildung haben wir deshalb auch gelernt, wie wir auf sie zu- und mit ihnen umgehen müssen, damit sie das Angebot der persönlichen Betreuung auch als echte Unterstützung wahrnehmen.“ Aber nicht nur das Persönliche ist wichtig, auch fachlich muss der Cardiolotse fit sein. Für die Weiterbildung zum Cardiolotsen müssen Interessierte deshalb eine abgeschlossene Ausbildung in einem medizinischen Assistenzberuf vorweisen können. Die Weiterbildung selbst beschreibt Jessica Kittendorf als „umfassend“. „Wir haben einen Einblick bekommen in die Funktionsbereiche der Kardiologie und in Herzkatheter-Labore, wurden zur Medikamentenlehre und zur Anatomie und Physiologie des Herzens geschult. Und wir haben alles über die Symptome erfahren und welche Betreuungsmöglichkeiten es gibt – sowohl medikamentöse als auch Alternativen wie Herzsport und Rehasport,“ so die gelernte medizinische Fachangestellte.
Werner Kosney fährt jetzt erst einmal mit seiner Frau zu einer Erholungskur nach Swinemünde. Seit ihm ein Herzschrittmacher eingesetzt wurde, hat er wieder die Kraft und Energie für solche Sachen.